Ich, Ismael, der Diener Gottes, enthülle heute für alle die, so noch Ohren haben zu hören, das
Geheimnis des schweren Abscheidens Imanuels, meines Herrn, von der Erde. Ich tue dies in Seinem Auftrage und erfülle so Seinen heiligen Willen, dem ich allezeit diene, treu
und wahrhaftig!
Viele Vermutungen und viel Menschengerede umgeben heute noch den Heimgang meines Herrn und Gottes. Das
Menschengerede verweht im Winde, und die Vermutungen sind wie Rauch, welcher aufsteigt und in Nichts sich auflöst. Doch etwas Unverstandenes bleibt zurück; deshalb ist es der Wille des
Herrn, in dessen Licht ich erfülle, daß überall dort, wo eine Trübnis sich befindet, diese durch einen Strahl des Lichtes der Wahrheit so erhellt wird, daß alle erkennen können, was sich
in der Trübnis verborgen gehalten hat.
Ich, Ismael, stand wartend und helfend neben meinem Herrn, als Er von seinem Erdenkörper sich
löste. Die Lösung war einfach und leicht — zuerst — mit strahlenden Lichtaugen begrüßte der Herr seinen Diener und alle diejenigen Lichtwesen, die gekommen waren, um Ihn heim in
das Licht der Ewigkeit zu geleiten.
Plötzlich vollzog sich ein Wandel. Mein Herr wandte sich wieder um, seinem Erdenkörper zu. Er war nur
noch so schwach verbunden mit dem grobstofflichen Leib, daß Seinem Heimgange nichts im Wege stand. Doch Er der Herr, wandte sich zurück. Ein tiefempfundener Schmerz, welcher
in seiner nächsten Nähe erlitten wurde, begann an Ihm zu ziehen. Der Schmerz ging von den zwei weiblichen Gefäßen aus, die auf Erden der Liebe und der Reinheit gedient hatten. Der
Schmerz dieser zwei Frauen war laut und fordernd, er war echt, doch er brachte meinem Herrn mehr Gram und Verzweiflung, als er je erlebte. Beide Frauen empfanden einen Schmerz, der über
allen Schmerzen stand und sich kaum ertragen ließ. Sie empfanden, daß etwas von ihnen ging und daß sie etwas verloren, was sie nie mehr wiedergewinnen konnten; und sie hatten recht. Denn
es lösten sich auch gleichzeitig mit dem Herrn die Verbindungen, welche beide Frauen mit der göttlichen Liebe und Reinheit verband. Denn es ist ein Gesetz im Himmel und auf
Erden, daß Gerechtigkeit, Liebe und Reinheit nicht getrennt werden können. Was jedoch die beiden Frauen nicht ahnten, war, daß sie durch ihren lauten Schmerz dem Herrn großes
Leid zufügten.
Als nun mein Herr sich wieder stärker mit dem Erdenkörper verband, mußte Er gesetzmäßig wieder auf das
Erdgeschehen zurückblicken. Und was Er da sehen mußte, ließ sein Herz von neuem bluten.
Sein Blick fiel zuerst auf den Menschengeist Maria, welcher der Gottliebe als Mittlerin gedient hatte.
Maria war in Schmerzen versunken, lange blieb sie so, doch dann begann sie sich zu regen, und man sah, wie sie Sein heiliges Wort überall zu verankern begann, — (Anm. nur kurze
Zeit) — Treue Diener im Erdenkörper halfen ihr dabei.
Nun traf meines Herrn Blick Irmingard, das Gefäß, welches der göttlichen Reinheit als Werkzeug gedient
hatte. In Grauen und Verzweiflung zog sich mein Herr zusammen. Irmingard, das geistige Gefäß der Reinheit, begann, schwer und trüb zu werden. Es sah aus, als wenn sie sinken würde. Mein
Herr rief, Er rief sie bei ihrem einstigen Namen — Nahome; dieser Name sollte sie an ihr damaliges Versagen erinnern, doch nicht nur an ihr Versagen. Der Name — Nahome —
sollte sie auch an ihre flehende Bitte erinnern, noch einmal der göttlichen Reinheit dienen zu dürfen, um in diesem Dienen sühnen zu können. Schwer war das Leid und bitter die Sühne,
welche einst Nahome nach ihrem freiwilligen Hinübergehen zu erleiden hatte. Ihre Bitte, dem Herrn noch einmal dienen zu dürfen, wurde ihr gewährt. Doch sie beginnt bereits, das Gelöbnis
zu vergessen, welches ihre einstige Bitte umschloß. Dieses Gelöbnis, aus tiefstem Leid heraus gegeben, lautete: „Überall und zu jeder Zeit will ich das heilige Wort hüten und weiterleiten, so wie es der Wille
Gottes von mir verlangt. Treu und gerecht bis an das Ende meiner Tage, denn wer Dein Wort aufnimmt, den nimmst auch du auf, o Herr!“ —
Nahome, rief der Herr ein zweites Mal. Doch Nahome hörte nicht. Ihr Blick richtete sich auf einen
Mann, welcher einen Mantel mit einem Löwenkopf trug. Schlapp, schmutzig und zerknittert hing dieser Mantel an der Gestalt herab. Und der Mann selbst trug eine so schwere karmische Bürde
auf seinen Schultern, daß mit Weh und Grauen mein Herr sah, daß dieser Menschengeist niemals imstande sein würde, die Strahlen des Urgeschaffenen Löwen aufzunehmen und zu verankern. Ja,
noch mehr, das schwere Karma, welches der Erdenmensch Alexander Freyer sich während seiner verschiedenen Erdenleben aufgeladen hatte, würde sich als ein unüberwindbares Hindernis zur
Erkenntnis des heiligen Wortes und der Sendung Imanuels, des Menschensohnes, erweisen. Nicht einmal stofflich würde dieser Menschengeist die Kraft zur Erfüllung haben. Mit schwachem
Glauben und schuldbeladen stand Alexander Freyer vor den Geistesaugen meines Herrn. (Nach dem Willen meines Herrn hätte ein anderer, treuer Menschengeist Besitz von dem Erdenkörper des
Alexander Freyer nehmen sollen, doch dies war nicht möglich, da das Karma des Alexander Freyer so schwer war, daß nach dem Gesetz der Wechselwirkung eine symbolische Ablösung nicht
möglich war.) Verzweifelt suchte mein Herr nach Hilfe, und sein Blick traf wieder den Menschengeist, welcher als vermittelndes Gefäß der Reinheit gedient hatte. Doch was war geschehen?
Irmingard Freyer stand nun selbst schwer belastet neben ihrem irdischen Bruder. Jede hohe Verbindung begann sich zu lösen. Alle menschlichen Schwächen, die karmisch dem Namen — Freyer —
anhingen, begannen sich auszuwirken. Es sah aus, als wenn sie niemals mit dem heiligen Worte in Verbindung gekommen wäre. Sie begann den Thron zu stützen, auf welchen der Menschengeist,
der die urgeschaffenen Strahlen auf Erden verankern sollte, sich selbst gesetzt hatte. Dieser Thron stand auf tönernen Füßen, die von einer Schar lichtfeindlicher, weiblicher
Menschengeister gehalten wurden. Ein höhnisches Lachen erscholl aus dem Kreis dieser Abtrünnigen. Grauenhaft war ihr Anblick. Doch noch grauenhafter war der Anblick des einstigen Gefäßes,
welches der Reinheit dienen durfte!
Verzweifelt wandte mein Herr seinen Blick hilfesuchend weiter. Da war noch ein Menschengeist in seiner
irdischen Nähe gewesen, der mit hohen Lichtstrahlen verbunden wurde. Herbert Vollmann, so war sein Name. Der Blick meines Herrn sucht nun diesen Menschen. Doch wo war er? Weit abseits
stand dieser Menschengeist. Hadernd und zweifelnd. Sein Geist umdüstert und sein Erdenkörper zerstört, so stand Herbert Vollmann am Rande einer Straße.
Endlich wandte mein Herr sein Angesicht zur Seite. Doch Er begann nun verzweifelt durch die
Kraft Seines Willens zu versuchen, Herr seines Erdenkörpers zu werden. Er mußte auf einige Zeit zurück. Er mußte andere Anordnungen treffen, ehe der Berg in einer
Welle des Dunkels versank. Und so begann mein Herr mit aller Anstrengung, Herr seines menschlichen Erdenkörpers noch einmal zu werden. Immer wieder sandte Er die Bitte zum Vater
empor, ihm noch eine kurze Erdenfrist zu gewähren. Doch das Licht hatte es anders beschlossen. Das Gericht war ausgelöst. Keine Macht der Erde konnte dieses Geschehen mehr aufhalten.
Sein heiliger Wille und Sein heiliges Wort waren in der Stofflichkeit verankert, daß auch dieser Wille und dieses Wort nie mehr von der Erde verbannt werden konnten. Das
Buch „Im Lichte der Wahrheit“, durch welches das heilige Wort der Menschheit nahegebracht worden war, blieb auf ewig der Schlüssel zum Paradies. Die Erdenfrist für Gerechtigkeit, Liebe
und Reinheit war um. Und es lag im Willen Gottes, daß die heiligen Strahlen des Trigones nur noch diesen Menschengeistern zugänglich sein sollten, die nach dem Worte des Herrn lebten!
Ganz gleich, wo immer sich auch diese Menschen befinden mögen.
Am irdischen Sterbelager bewegte der Erdenkörper meines Herrn stundenlang zuckend, und manchmal auch
wie kämpfend Arme und Beine. Mein Herr stand daneben und versuchte so immer wieder, Gewalt über den Erdenkörper zu bekommen. Verwundert und nicht begreifend hörten später die Menschen von
diesem stundenlangen, anscheinenden Todeskampf meines Herrn. Doch meines Herrn Ringen war umsonst, denn was im Lichte Gottvaters beschlossen war, geschah. Das Trigon stieg, umgeben von
ungezählten Scharen lichter Diener, empor in die Heimat. Auf Erden war das Werk des Menschensohnes erfüllt.
Ich, Ismael, habe eine Strecke Weges meinen Herrn begleitet, ich durfte im Lichte Seiner
Dreifaltigkeit emporsteigen. Doch ich mußte wieder in die Erdennähe zurückkehren, um zu wachen und das heilige Wort zu hüten. In Seinem Willen wirkend, muß ich alle die beschützen,
die Sein Wort erkannt haben und die nach diesem Worte leben und in dessem Sinne wirken.
Schon steht der Thron, auf welchen sich Alexander Freyer gesetzt hatte, unsicher. Schatten des Todes
reichen bis zu ihm. Und Irmgard Freyer? Ihr Geschick wird auf einem anderen Blatte geschrieben werden. Doch erst dann, wenn sie bei der letzten freien Entscheidungsmöglichkeit ihre Wahl
getroffen hat.
— — —
Diese Niederschrift habe ich vor einiger Zeit aufgenommen, und ich habe lange gezögert, dieselbe zu
veröffentlichen. Aber ich habe erkannt, daß es meine Pflicht dem Herrn gegenüber ist, das mir Übermittelte an alle Kreuzträger weiterzugeben. Noch dazu, wo mir der Herr noch während
seines Erdenlebens mitgeteilt hatte, daß von Zeit zu Zeit — Ismael — sich mir nahen wird, um bei wichtigen Anlässen Seinen Willen durch mich kundzutun.
Votorantim, den 24. April 1956
gez. Roselis von Sass