Die Weltenwende, 20/21. Juli 1929.
Ismaniela zog es in die herrliche Natur, die sich hier immer mehr erschloß.
Stimmen daraus wurden für sie immer klarer, deutlicher.
Auf lichten, reinen Wellen flossen sie heran aus den Weiten des Berges und des
Waldes. Sie waren von Freude und Dank erfüllt in dem Erkennen, daß Gott ihnen den Helfer gesendet, der die Welt wieder frei macht von dem Druck der Erbsünde.
So nahten sich Wesenheiten, vom Licht gesendet, um vorbereiten zu können zu hoher
Erfüllung. Auch Ismanielas Gatte erhielt solche Weisungen. Daraufhin machten sich einige Jünger auf den Weg, der Führung eines solchen Geistes nachgebend. Ihr Herr hatte ihnen dazu
Erlaubnis gegeben.
Und siehe, der Geist führte sie! Oft ließen sie sich nieder, nicht wissend, was
das Licht vorhatte. Dann erschien eine helle Gestalt, oder ein leuchtendes Licht unweit ihrer Gruppe und winkte ihnen zu folgen. Unter ihren Sohlen begann die Erde zu leben, leise, zu
strahlen, sie fühlten es genau. Zu ihren Häuptern spannte sich ein Strahl nach oben, der sie mit der Führung verband.
So gingen sie einen herrlichen Waldpfad, der, sich dann verbreiternd, an einer
Höhe entlang führte.
Vor ihnen her ging in gleichbleibendem Abstande der lichte Führer. Auf einen Stab
gestützt, blickte er sich zuweilen um, wenn sie ihm zu lange verweilten, und deutete nach dem Wege voran. Er ging wortlos, und dennoch war es, als ob er sich mit ihnen unterhielte. Die
Kraft seiner Eigenart und seines Wollens formte sich zu einem bestimmten, klaren Begriff.
Sie hatten einen Bach erreicht, den der Führer überquerte, worauf er an der
Wegbiegung plötzlich verschwand. Da standen sie und blickten sich fragend an. Nichts war zu sehen. Heimlich rauschte der Wald.
Ismaniela und ihr Gatte begannen zu schreiben (medial). Wieder gaben flüsternde
Stimmen führende Zeichnungen und Worte. Es wurde vorgelesen und gesucht. Da fanden sie alle gegebenen Zeichen von den Wesenhaften im Laufe der Zeiten erbaut, deutlich erkennbar. Wie
schärfte sich da der Blick für die Natur, wie war jeder Stein, jeder Baum, jedes Reis von erzählendem Leben erfüllt, wie gingen den Menschen die Augen auf für jene feine Sprache in der
Natur, die sie nie vernommen, wohl aber unklar wie ein fernes Märchen geahnt hatten. So gelangten sie an einen Felsen, der, mit Moos bewachsen, mit einer kleinen Tanne gekrönt, mitten
zwischen drei hohen Bäumen stand. Über dem Felsen aber strahlte in weißschimmerndem geistigen Lichte das Kreuz der Wahrheit, von einem goldflammenden, festgeschlossenen Lichtringe
umgeben.
Es schwebte als lichtes Geistzeichen nur wenige Augenblicke über dem Felsen, um
dann zu verschwinden. Die Berufenen aber wußten, daß sie die Stelle gefunden hatten, dahin sie der Geist gewiesen.
„Hier soll sich ein heiliges Werk erfüllen!“
Soviel wußten sie alle gewiß. Aber sie kannten nicht die Art. Schritt um Schritt,
Stück für Stück sollten sie sich im Begreifen geistigen Willens vervollständigen.
Und es glühte ein lichter Ring, verziert mit köstlichem Gestein, leuchtend aus
der Tiefe der Erde in Ismanielas Geistauge empor. Sie hatte ihn schon einmal schauen dürfen in der Urkönigin Händen und kündete es nun den anderen. Sie sollten dem schweren dichten Stoffe
den leuchtenden Lohn des Geistes abgewinnen, sollten ihn sich in treuer Arbeit im Lichte des Kreuzes erringen. Die Größe dieser geistigen Erfüllung war ihnen nicht bewußt, auch nicht
ahnungsweise, sie strebten deshalb nur irdisch nach dem Ziele, das auszuführen sie der Geist gewiesen hatte.
So begann ein eifriges Arbeiten um den vom Geiste bezeichneten Stein, der gehoben
werden sollte. Während die Männer abwechselnd die schweren Erdarbeiten verrichteten, griffen die Frauen nur bei leichterer Arbeit zu. Immer wieder kamen mahnende, anregende und helfende
Weisungen von geistigen Helfern, die die Arbeit förderten. So schien der Stein sich bald zu lockern, eine mächtige Wurzel hielt fest und behinderte den Fortschritt der Arbeit um
Tage.
Die Hitze wuchs, Insekten quälten die Arbeitenden, aber sie ließen nicht nach im
freudigen Schaffen.
Immer tiefer wurde die Grube, immer schwerer die Arbeit. Da kam unerwartet ein
Zeichen aus den Höhen. Der Stein war beseitigt, eine tiefe Grube war geschaufelt, ein kleiner Kanal führte seitwärts, tiefer in den Berg. Dort lag, geborgen in dem Licht des Geistes, der
Punkt, der den leuchtenden Ring einer bedeutungsvollen Erfüllung schloß.
„Sie sollten aber die Arbeitsstätte erst wieder am Abend zur Zeit des vollen
Mondes besuchen. Der HERR würde mit ihnen gehen.“ So sagte der führende Geist.
Die Vorabendstunden versammelten die dazu auserwählten Beteiligten. Schwüle lag
über dem Berge, grollend brauten schwere Wetter in der Ferne.
Da geschah es, daß Ismaniela in tiefen Schlaf verfiel. Grüne und violette
Strahlen von unbeschreiblicher Stärke kamen von oben und zerrissen fast den Raum. Alle fühlten die mächtige Spannung eines kreisenden Schwingens über sich und in sich. Und der HERR
sprach:
„Ich bin bereit!“
Es erschienen mächtige Engel in brausendem Klingen, daß das Haus im Sturmessausen
zu wanken schien. Die Wesenhaften nahten sich dem HERR, sie nahten sich MARIA und IRMINGARD, entzündeten lodernde Flammen auf den Häuptern der Berufenen und bereiteten sie zu der Stunde
des Abends, die ihnen der Geist bestimmt hatte.
Und der HERR sprach zu den Auserwählten:
„Nun laßt uns zur Erfüllung schreiten, kommet und folget mir!“
Als sie durch den dämmrigen Hochwald schritten, wortlos, in Spannung und heiliger
Andacht, da ging das Kreuz der Wahrheit strahlend auf dem Wege voran und hochflammende Lichter folgten ihm.
Die Männer stiegen in die tiefe Grube, einer nach dem anderen hob einige
Schaufeln hoch empor, dann stieg Ismaniela hinab.
Der Sturm begann von neuem zu brausen, drei Wetter nahten, von Süden, von Westen
und Norden. Sie trafen sich zur Stunde über dem heiligen Berge. Aus dem Osten aber strahlte klarblauer Abendhimmel, silbern erhellt von dem langsam emporsteigenden Monde, der seine
verteilenden Strahlenkräfte den Wolken entgegen sandte.
Stille war es unter den Menschen, nur die Tropfen sickerten von den Blättern und
kleine Kiesel rollten in die Grube. Der Wind rauschte, grelle Blitze erhellten den Wald. Ein krachender Donner fuhr herab und rollte über den ganzen Himmel von Nord bis Süd, als Gruß
Merkurs. Dann ward Stille. Vereinzelte Blitze leuchteten nur noch hier und da.
Und es schlich das Licht des aufsteigenden Vollmondes über den Berg, sank von
Spitze zu Spitze hinab in die Wälder, bis sein voller Glanz in breiten Wellen bis auf den Grund der Grube floß, wo Ismaniela suchend kniete.
Da rauschte es wie das Säuseln feinen Windes, es flüsterte und knisterte wie von
seidigen, weichen Schleiern. Rosen- und Lilienduft breitete sich aus. Die ganze Stätte war in rosiges Licht getaucht. Auf den fließenden Wellen geistiger Ströme kam die Allmutter herab zu
dem Sohne und sprach zu ihm.
Ismanielas Auge hatte den Ring leuchtend wieder in der Urkönigin Händen erschaut.
Glückselig rief sie aus:
„Da ist der Reif!“
Der Urkönigin weiche, klingende Stimme sprach:
„Heil Dir, mein Sohn! Durch das treue Wollen Deiner Diener ist erfüllt, was
Tausende von Jahren von dem Vater weise vorgesehen war. Der Anfang ward verknüpft nun mit dem Ende.
Ich lege Dir den leuchtenden Ring der Kraft wieder um den Arm zum
Zeichen, daß der Gotteswille nun neu belebend in die Schöpfung trat. Weltenwende
bricht geistig nun herein und wird bereitend schaffen, was sich erfüllen muß in aller Stofflichkeit. Der
Menschengeist hat keinen freien Willen mehr, er muß sich nun dem Gotteswillen
fügen.
Ein leuchtender Ring der Treue hat sich heute
auch irdisch geschlossen um Dich, mein Sohn. Und diese heilige Stätte der Erfüllung ist erhellt von dem Lichte einer
leuchtenden Krone, die auf vier schneeweiß leuchtenden Säulen ruht, welche aus dem Flammenringe ragen.
Gehe hin, mein Sohn, beginne Dein Werk! Es neigen sich vor Dir die Wesenhaften und stehen bereit zu Deinem Willen. Es neigen sich alle geistigen Scharen und jubeln Dir und MARIA: „Freude und Sieg!“ Es müssen sich die Menschengeister beugen, ob sie wollen oder nicht; denn Dein Wille von der Kraft Deines göttlichen Vaters regieret
die Schöpfung.
Es muß das Dunkel sich verbergen und in
grausigem Kampf der Vernichtung enden, durch den Beginn der Weltenwende!“ —
Stille trat ein. Das
Wort war verhallt und der
HERR betete dankend mit seinen Jüngern.